20 / 06 / 2017 in Fokus Technik & IT
Kunst und Technik: eine ungewöhnlich gewöhnliche Symbiose
Es ist wohl oft die Technik, die Kunst erst möglich macht. Der besondere Reiz entwickelt sich, wenn unerwartete, besonders feinmotorische oder ungewöhnlich brachiale Technikfertigkeit zur Anwendung kommen und Kunst auf spezielle Art lebendig machen.
Bildhauer und Skulpteure sind auf technisches Know-how angewiesen, um ihre Kunst von der Idee zur Realität werden zu lassen. Jean Tinguely (1925-1991), Schweizer Maler und Bildhauer sowie Hauptvertreter der kinetischen Kunst, wurde vor allem durch seine beweglichen, maschinenähnlichen Skulpturen bekannt. Er startete mit zerbrechlichen und zittrigen Draht-Blech-Kompositionen, schuf aber auch eine gigantische Maschine, die ab 1960 im Garten des Museum of Modern Art in New York zu bewundern und aus Schrott zusammengesetzt war. Sie konnte sich selbst zerstören und wurde so zur sprichwörtlichen autodestruktiven Kunst.
Technik macht neugierig
Andere Künstler wie etwa Bernhard Tragut aus Wien stellen mithilfe ihres „Brotberufes“ Kunst her. Tragut ist Vergolder und Kirchenrestaurator, studierte bei Professor Hausner an der Akademie der bildenden Künste und verwendet die erlernten Techniken sehr bewusst, um seinen hölzernen Skulpturen zu veredeln. Die Objekte erfordern neben künstlerischem Gespür ein hohes Maß an technischen Fertigkeiten und beeindrucken mit ihrer entlarvenden, humorigen Präsenz. „Mich reizt es, mit diesen mehrere Tausend Jahre alten Techniken meine aktuellen künstlerischen Anliegen zu formulieren. In diesen Techniken bin ich zu Hause, die beherrsche ich, mit denen fühle ich mich wohl. Die Technik spielt schon eine wichtige Rolle, aber andererseits kann sie auch behindern. Man muss die Technik nicht unbedingt kennen, um das Werk zu verstehen, doch viele Betrachter macht gerade die Technik neugierig.“
Ursprünglich waren Glasbläser jene Handwerker, die dafür sorgten, dass schlichte Gefäße mit einer gewissen Ästhetik versehen wurden. Heute übernehmen diesen Job weitgehend Maschinen – die manuelle Fertigkeit ist dafür nicht mehr gefragt. Die Technik des Glasblasens besteht jedoch weiterhin und hat in der Kunst längst einen festen Platz eingenommen. Im Kuchler Haus in Ebreichsdorf hat beides nebeneinander Platz: das Handwerk und die Kunst des Glasblasens.
Bagger statt Pinsel
Familientradition, Handwerk und Kunst verbindet auch Mag. Veronika Matzner. Die Mödlingerin ist in einer Künstlerfamilie aufgewachsen. Der familiäre Alltag in der Kindheit ist geprägt von Museumsaufenthalten, Ölmalerei, und Kunstsammlungen. Neben ihrer Arbeit als Lehrerin für Physik und Mathematik an der HTL Mödling widmet sie sich seit 2014 auch intensiv ihrer künstlerischen Tätigkeit. Sie arbeitet mit Acryl, Holz, Metall oder auf klassischer Leinwand und bezieht experimentelle und aktionistische Elemente ein. So unterstützt etwa ein Bagger den Arbeitsprozess bei „Ölspur“ oder „Funkenflug“ und die Trennscheibe ist ein zentrales Werkzeug bei „Mache ich Angst?". „Es gibt viele Wege die Wirklichkeit abzubilden. Eine ist zum Beispiel Zufälligkeiten zu erzeugen und darin die Wirklichkeit zu erkennen. Und der Zufall spielt gerade in der Physik und Mathematik eine große Rolle,“ erklärt Matzner. Ob Portraits mit überbreiten Spachteln oder den Rädern am Bagger entstehen – die Verfremdung sorgt für Spannung und Emotion zwischen dem Betrachter und dem Künstler. Dabei steht für die Künstlerin nicht immer nur der Sehsinn im Vordergrund: „Maschinen wie Trennscheiben oder Schweißgeräte sind durchaus laut und sprechen so ganz andere Sinne an.“
Kunst aus der Petrischale
Chemietechnik liegt einer außergewöhnlichen Form der Malerei zugrunde, der „Bacteriographie“. Erich Schopf ist der Gestalter dieser Weltneuheit – er veranschaulicht und entfaltet die Welt der Bakterien und schafft mit ihrer Hilfe Bilder. Kunst und Chemietechnik finden hier zueinander, indem die Farbenvielfalt von Mikroorganismen eingsetzt wird, um abstrakte Bilder oder Portraits zu „malen“.
Wissenschaft, Film und Kunst finden bei Herwig Weiser, einem Tiroler Filmemacher und bildenden Künstler, eine Symbiose. „Ultrasonic generator 500W, 8 PZT-piezoceramic elements, plexiglass cylinder, motor, PLC industrial electronics, 80*3W LEDs with lenses, various liquefied electrochemical mixtures“ – die Beschreibungen von Weisers technovisionären Installationen lesen sich wie detaillierte technische Richtlinien. Der Künstler kooperiert eng mit Wissenschaftlern und Musikern, hinterfragt Denkmuster und gängige Bedeutungen in unserer Beziehung zur Technologie. Ultraschall, Generatoren, Motoren, Elektrochemie, Linsen oder Piezokeramik klingen gar nicht nach Kunst – das Resultat überrascht und macht entsprechend neugierig.
Wieder gänzlich andere Wege beschreitet Günther Pedrotti. Der Künstler baut unter anderem „Wasser-Maschinen“: „Ich verbinde die Wasserkraft mit Metaphern. Aktuell geht es mir um die Fließumkehr von Wasser“, erzählt der Künstler. Er baut die Maschinen, betreibt sie an natürlichen Wasserläufen und hält den erzielten Effekt in einem Video fest.
Digitale Kunst
Mit keinem Handwerk im üblichen Sinne, sondern in Konvergenz der Medien Fotografie, Film, Video und Computer entstehen Kunstwerke und -projekte, an denen auch akademisch gearbeitet wird. Das Department für Digitale Kunst der Universität für angewandte Kunst Wien macht sich moderne Medien zunutze, um Kunst zu kreieren. „Informationstechnologie als Gestaltungsressource und Gestaltungsmittel sowie die Anwendung der Metaphern und Gestaltungsprinzipien zeitbasierter Kunst über Algorithmik, Sensorik, Robotik und neue bildgebende Methoden bis hin zu klassischen Kunstformen wie Skulptur oder Architektur“, beschreibt Departmentleiterin Univ.-Prof. Mag. art. Ruth Schnell, was Digitale Kunst ist und kann.
Das Werk von Peter Weibel, österreichischer Künstler, Ausstellungskurator, Kunst- und Medientheoretiker, lässt sich in Kategorien der Konzeptkunst, der Performance, des Experimentalfilms, der Videokunst, Computerkunst und allgemein der sogenannten Medienkunst fassen. Die Techniken Film, Video, Tonband und interaktive elektronische Umgebungen fließen in seine Kunst ein, an zahlreichen Institutionen fungiert(e) Weibel als Lehrender und Leiter. Sein Name ist untrennbar mit der Ars Electronica, dem Institut für Neue Medien in Frankfurt oder dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe verbunden.
Breiter Bogen
Erst kürzlich ließen Medienberichte aufhorchen, die darauf aufmerksam machten, dass der 3-D-Druck die Welt der Kunst verändern soll. Der New Yorker Künstler Josh Kline untersucht mit seinen Objekten, wie sehr der 3-D-Druck schon heute unser Leben beeinflusst. „Die Technik wird die Kunst in der gleichen Art verändern wie Photoshop und digitale Kameras die Fotografie verändert haben“, ist Kline überzeugt.
Kunst und Technik sind wohl untrennbar miteinander verbunden, denn ohne ausgefeilte Technik ist Kunst kaum möglich. Bemerkenswerte Beispiele zeigen, dass sich zwischen althergebrachten Mal- und Gestaltungstechniken und modernen Ausformungen wie digitaler Kunst bis hin zum 3-D-Druck ein breiter künstlerischer Bogen spannt, der immer wieder für Überraschungen sorgt.
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veröffentlicht von Hannah Meister, MA BSc
Hannah sieht ihre Tätigkeit im Recruiting nicht nur als Job, sondern vielmehr als Berufung. Sie geht gerne innovative Wege, versucht Menschen zu begeistern und strotzt vor Leidenschaft und Engagement. Zudem stehen jede Menge Kreativität, Hartnäckigkeit und Einfallsreichtum auf ihrer täglichen Agenda – ganz nach der Devise: „Denken Sie Groß “.